Die Moderne


Unvorstellbar, dass die barocke Kirche von 1929 bis 38 gründlich restauriert wurde, um dann im Bombenhagel des 2. Januar 1945 innerhalb weniger Stunden ebenso gründlich beschädigt und zerstört zu werden! Wieder bleiben die Historischen Kapellen und die Sakristei erhalten. Und damit die große Breite und Spannung einer über die Jahrhunderte von der Romanik über die Gotik zum Barock reichenden Anschauung des Glaubens.
Warum wurde St.Egidien – wie etwa St. Lorenz oder St. Sebald – dann nicht noch einmal restauriert, sondern – mit Ausnahme der Stuckdecke im Ostchor – auf einen farb- und bilderlosen, protestantischen Barock reduziert – kein Vergleich zu dem, was einmal war? Die auch nach 60 Jahren noch anhaltende Diskussion verweist auf ein durchgängiges Gestaltungsprinzip: Wir können viel oder wenig Geld verbauen, aber wir können nicht gegen unser eigenes Zeit- und Lebensgefühl anbauen. Dieses Gefühl konnte sich nach dem 2. Weltkrieg und der nationalsozialistischen Herrschaft im barocken Triumph des Himmels über die Hölle nicht wiederfinden.

Eher schon in den spärlichen Fotos, die vom Ende und der Katastrophe der Stadt und ihrer Kirchen handeln. Sie sind zu Ikonen der Verwundbarkeit geworden, die merkwürdigerweise dieselbe Aufmerksamkeit und stille Betrachtung erfahren wie der Lorenzer Engelsgruß oder das Sebaldusgrab.

Das Einzige, was den Egidiern blieb, waren – im Unterschied zum gebunkerten Kunstgut von St. Sebald und Lorenz – die barocken Mauern einer leeren Kirche.
Diese Leere – Urform und erste Kirche des in Jerusalem umbauten leeren Grabes Christi – wirkte wie ein Signal: Diese Kirche will erfüllt und belebt werden durch Licht von außen und die Menschen, die vorbei kommen oder hier zu Hause sind.

Modern, fast cool – trotz der barocken Anmutungen – wirkt die Kirche und ihr Verzicht auf jeden konkreten Blickfang. Der so gewonnene Freiraum legt nahe, ihn mit allen möglichen Ideen zu bespielen.
Das säulenlose Oval des Kirchenraumes mit den großen Fenstern bietet die beste Voraussetzung dafür. Nur die gebieterische Wucht und Ruhe des Kruzifixes in der Mitte steht dem hellen, transparenten Raumgefühl im Weg.
Das Lebensgefühl des Cool, auf Distanz zu gehen, ohne sich durch Gleichgültigkeit zu verletzen, scheint durchaus ein Signal zu sein, das unterschiedliche Kulturen und Milieus verstehen und tolerieren. Die Erinnerung an den biblischen Auftrag,

Entfernte und Entfremdete – auch die von Religion – aufzunehmen, einzuladen, hat St. Egidien zum Integrationspunkt der Hochschulgemeinde und verschiedener therapeutischer und kultureller Aktivitäten gemacht.
Die Breite der Egidier Kirchen- und Kulturgeschichte macht vor der Moderne nicht halt. Ausstellungen zeitgenössischer Kunst gehören ebenso dazu wie die Bewegung und Leichtigkeit der Musik und der Mut, sich seiner eigenen Träume zu bedienen. Wer in den Blauen Nächten Feuer, in den Konzerten Heiterkeit und Ruhe, in der Kunst den Widerspruch und im Gebet sich selber fand, der wird nicht vergessen.